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Dialog Impulse

Migration: Zwischen Realität und populistischer Verzerrung

Für einen konstruktiven Umgang mit Migration

Die aktuelle Debatte über Migration und Kriminalität wird zunehmend von Angst, Verzerrung und politischer Stimmungsmache geprägt. Dabei zeigen die Fakten ein anderes Bild als das, was rechte Parteien und Teile der politischen Mitte suggerieren. Statt Panik zu schüren, brauchen wir eine sachliche, faktenbasierte Auseinandersetzung – denn Migration ist nicht ausschließlich bedrohend. Migration ist eine notwendige Ressource für Deutschlands Zukunft.

Wir sind uns darüber bewusst, dass unser Beitrag nicht in die markig-verkürzten Statements passt, die in den sozialen Netzwerken üblicherweise kursieren. Dennoch möchten wir hiermit einladen, eine sachliche Auseinandersetzung zu führen, die weder die Augen vor den großen gesellschaftlichen Herausforderungen verschließt, noch Migration ausschließlich als zu vermeidendes Problem begreift.

Verzerrte Wahrnehmung: Gewalt wird einseitig diskutiert

In der öffentlichen Diskussion steht oft die vermeintlich hohe Gewalt durch Migranten im Fokus. Dabei wird übersehen, dass Kriminalität ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist – und nicht auf eine Gruppe reduziert werden kann.

Gleichzeitig bleibt ein wichtiges Thema oft unerwähnt: Die Gewalt gegen Migranten und Geflüchtete. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:

  • 1.600 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2016, fast fünf pro Tag.
  • Seit 1990 wurden mindestens 225 Menschen von Rechtsextremen getötet – meist, weil sie nicht ins Weltbild der Täter passten.
  • 98 % der Täter bei diesen Taten waren Männer.

Diese Zahlen werden in der politischen Diskussion kaum berücksichtigt, weil sie nicht ins Narrativ derjenigen passen, die Migration als Bedrohung darstellen wollen. Die Realität ist komplexer: Es gibt Gewalt durch Menschen unterschiedlichster Herkunft, und es gibt Opfer auf allen Seiten. Doch anstatt differenziert zu diskutieren, setzen einige Parteien auf Angst und Panikmache.

Jeder Tod ist eine Tragödie – warum wir differenzieren müssen, ohne zu relativieren

Es ist immer schwierig, über Todesfälle in Relation zu sprechen, denn jeder verlorene Mensch hinterlässt eine Lücke, die nicht gefüllt werden kann. Jeder Mord, jede Gewalttat, jede vermeidbare Tragödie muss uns ein Ansporn sein, Ursachen zu bekämpfen und Schutzmaßnahmen zu verbessern. Gleichzeitig hilft es, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in einen realistischen Kontext zu setzen. Nur so können wir rationale Entscheidungen treffen, um Menschenleben bestmöglich zu schützen – ohne uns von Angst oder politischer Stimmungsmache treiben zu lassen.

Die Zahl der Opfer terroristischer Gewalt in Deutschland ist schrecklich – ebenso wie die Opfer rechtsextremer Gewalt, tödlicher Gewalt in Beziehungen, im Straßenverkehr oder durch Naturkatastrophen. Vier Syrer haben in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland islamistisch motivierte Terroranschläge verübt, bei denen insgesamt 24 Menschen starben. Gleichzeitig gibt es 5.787 syrische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, die vermutlich weit mehr Menschenleben gerettet haben, als durch die Anschläge verloren gingen (Quelle: Ärzteblatt). Dies ist keine Relativierung, sondern eine Erinnerung daran, dass Menschen nicht auf ihre Herkunft oder Zugehörigkeit reduziert werden dürfen – weder im Positiven noch im Negativen.

Zur gleichen Zeit verzeichnete das Bundeskriminalamt seit dem Jahr 2000 43 Todesopfer rechtsextremer Gewalt (Quelle: Bundestag). Die Dunkelziffer dürfte höher sein, denn die Antonio-Amadeu-Stiftung zählt seit der Wiedervereinigung mindestens 220 Todesopfer rechtsextremer Gewalt und weitere Verdachtsfälle (Quelle: Amadeo Antonio Stiftung). Auch politische Morde wie der an Walter Lübcke, der für seine menschenfreundliche Haltung ermordet wurde, zeigen, dass Hass tödlich sein kann.

Die Zahl der Femizide lag 2023 bei 938, davon 360 mit tödlichem Ausgang (Quellen: Bundeskriminalamt, Unwomen) . Hinter diesen Zahlen stehen Frauen, die in ihrem Zuhause oder von ihren Partnern getötet wurden – nicht selten, nachdem sie um Hilfe gebeten haben. Am 31. Januar 2025 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Frauen besser vor Gewalt schützen soll. Die Wirkung dieses Gesetzes im Hinblick auf die Opferzahlen wird zu beobachten sein.

Doch nicht nur Gewaltverbrechen fordern Menschenleben. Die Zahl der Verkehrstoten lag 2024 bei 2.760, darunter 257 Radfahrer und 335 Fußgänger (Quellen: ADAC, Statistisches Bundesamt). Diese Todesfälle könnten durch bessere Infrastruktur und Verkehrsregeln reduziert werden, aber eine vollständige Vermeidung wird nie möglich sein.

Auch die Klimaerwärmung fordert Menschenleben. Die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 kostete 180 Menschen das Leben (Quelle: Ärzteblatt). Hitzewellen in den Jahren 2019 und 2022 forderten 6.900 bzw. 4.500 Todesopfer (Quelle: Ärzteblatt). Hier zeigt sich, dass Risiken nicht immer von Menschen direkt verursacht werden, sondern auch durch politische Trägheit verstärkt werden können.

Warum wir uns nicht eine Sache herauspicken dürfen

Wenn es uns wirklich darum ginge, Menschenleben zu schützen, könnten wir an vielen Stellen ansetzen. Wir könnten nach schärferen Maßnahmen gegen rechte Gewalt rufen. Wir könnten fordern, dass Frauenhäuser endlich so ausgebaut werden, dass sie Schutz bieten, bevor es zu spät ist. Wir könnten eine bessere Verkehrsplanung fordern, um Fußgänger und Radfahrer zu schützen. Wir könnten mehr gegen die Folgen der Klimakrise tun, um Extremwetterereignisse weniger tödlich zu machen.

Doch genau das passiert nicht in diesem Ausmaß. Warum?

Warum sind wir bei einzelnen Verbrechen, die von Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund begangen werden, so viel lauter als bei Femiziden, bei rechter Gewalt oder bei Verkehrstoten? Warum scheint es in Ordnung zu sein, sich in einer politischen Dauerschleife über die „importierte Kriminalität“ zu empören, während die Tatsache, dass jede Woche Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet werden, oft nur eine Randnotiz bleibt?

Es drängt sich die Frage auf: Geht es wirklich um Sicherheit? Oder geht es um ein Feindbild?

Sind wir ehrlich, müssten wir uns fragen, warum uns 24 Terroropfer über zwei Jahrzehnte hinweg zu tiefen politischen Debatten treiben, während über 360 ermordete Frauen in einem einzigen Jahr als gesellschaftliches Problem oft nicht in gleichem Maß diskutiert werden.

Machen wir uns etwas vor? Nutzen wir vielleicht die Verbrechen einzelner Geflüchteter als Ventil für andere Frustrationen? Ist es bequemer, sich über „die Syrer und Afghanen“ aufzuregen, als über strukturelle Gewalt in der eigenen Gesellschaft nachzudenken? Über das, was in Familien passiert, über die Bedrohung durch Neonazis, über eine Verkehrspolitik, die Fußgänger und Radfahrer sterben lässt, über eine Klimapolitik, die vermeidbare Katastrophen nicht verhindert?

Diese Fragen sind unbequem – aber sie sind notwendig. Denn nur wenn wir bereit sind, ehrlich hinzuschauen, können wir tatsächlich Leben schützen. Und zwar nicht selektiv, sondern überall dort, wo es nötig ist.

Migration als Wirtschaftsfaktor – Deutschland braucht Fachkräfte

Die Klagen vom „Überfremdungsproblem“ lenken von einer ganz anderen, realen Herausforderung ab: Ohne qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland wird unser Wirtschaftsstandort auch weiterhin massiv schrumpfen.

Während andere Länder – allen voran die USA und Kanada – gezielt Fachkräfte anwerben bzw. ausreichend qualifizierte Fachkräfte im Land haben, schreckt Deutschland mit seiner politischen Rhetorik potenzielle Arbeitskräfte ab. Der zunehmende Rechtsruck sendet ein fatales Signal: “Ihr seid hier nicht willkommen.” Warum sollten qualifizierte Ingenieure, IT-Spezialisten oder Pflegekräfte aus dem Ausland hierherkommen, wenn sie sich nicht gewollt fühlen?

Die Faktenlage:

  • Die deutsche Wirtschaft leidet massiv unter Fachkräftemangel.
  • Die Rente ist ohne Migration nicht finanzierbar.
  • Unternehmen klagen über fehlende Arbeitskräfte. Doch statt Lösungen zu finden, wird eine Anti-Migrationspolitik betrieben.

Die Realität ist: Ohne Migration wird Deutschland wirtschaftlich abrutschen. Wer Migration verhindern will, nimmt Wohlstandsverluste und eine Destabilisierung des Sozialstaats in Kauf.

Bildung und Integration: Eine Chance für Deutschland und die Migranten

Neben den bereits hochqualifizierten Fachkräften, die Deutschland dringend braucht, kommen viele Menschen aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen nach Deutschland, die in ihren Heimatländern keine Perspektive hatten. Viele dieser sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge stammen aus Regionen mit schwachen landwirtschaftlichen Strukturen, Klimakatastrophen oder politischer Instabilität.

Doch statt diese Menschen nur als „Belastung“ zu betrachten, müssen wir die Chancen erkennen:

  • Gezielte Bildungs- und Ausbildungsprogramme: Wer keine Qualifikation mitbringt, kann sie hier erwerben. Deutschland braucht nicht nur Akademiker, sondern auch Handwerker, Pflegekräfte und Facharbeiter in der Industrie.
  • Berufsorientierung und Sprachförderung: Integration gelingt durch Teilhabe – und das beginnt mit der Sprache. Deutschland muss mehr in Sprach- und Berufsintegration investieren.
  • Landwirtschaft als Integrationsfeld: Viele Migranten kommen aus agrarisch geprägten Ländern. Statt sie in Perspektivlosigkeit verharren zu lassen, sollten wir gezielte Programme entwickeln, um sie in die Landwirtschaft oder nachhaltige Agrarwirtschaft einzubinden.
  • Politische Flüchtlinge stärken: Menschen, die vor Diktaturen oder repressiven Regimen fliehen, haben oft großes Potenzial, sich für eine demokratische Gesellschaft zu engagieren. Wir müssen ihnen eine Plattform bieten, ihre Talente für Deutschland zu nutzen.

Migration muss als Prozess verstanden werden, nicht als Problem. Menschen, die nach Deutschland kommen, müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden – nicht, weil sie „geduldet“ werden, sondern weil sie einen Beitrag leisten können.

Mit Migration verbundene Herausforderungen, die wir angehen müssen

Unser Grundgesetz mit seinen Säulen von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hat sich als Basis unserer Gesellschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bewährt . Eine freiheitliche und demokratische Grundordnung – unter den realen Gegebenheiten von Migration – heute und in Zukunft zu bewahren, ist ein übergeordnetes, nicht zur Disposition stehendes Ziel. Bestrebungen, die dieses Fundament in Frage stellen, sind im Sinne einer wehrhaften Demokratie abzulehnen.

Und das gehört leider auch dazu: Die Sozialisierung vieler Migranten ist oft nicht mit diesen demokratischen Grundwerten vereinbar. Insbesondere auch die Gleichberechtigung von Frauen ist häufig nicht Teil dieser kulturellen Prägung. Auch eine Abgrenzung ethnisch oder religiös geprägter Subkulturen schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Um dem entgegenzuwirken bedarf es integrativer Maßnahmen, und dies ist keineswegs eine einfache Aufgabe. Es ist in der Tat eine sehr große Herausforderung. Simple politische Parolen sind vielleicht geeignet, Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken zu generieren, leisten jedoch keinen Beitrag für sinnvolle Lösungen.

Kultur des Ausgleichs statt des Gegeneinanders

Die aktuelle Debatte ist von Spaltung geprägt. Statt einer lösungsorientierten Auseinandersetzung gibt es ein gefährliches Freund-Feind-Denken. Doch was wir brauchen, ist eine Politik des Ausgleichs und der Sachlichkeit.

Das bedeutet:

  • Arbeitsmigration als Chance begreifen – Deutschland braucht Fachkräfte und muss sich als attraktives Einwanderungsland präsentieren.
  • Integration statt Abschottung fördern – Teilhabe ermöglichen statt ausgrenzen.
  • Bildung und Qualifizierung gezielt einsetzen – nicht jeder bringt eine fertige Ausbildung mit, aber wir können Menschen qualifizieren.
  • Kriminalitätsstatistiken im richtigen Kontext betrachten – keine Verharmlosung, aber auch keine Panikmache.
  • Rechte Gewalt konsequent bekämpfen – Angriffe auf Migranten müssen genauso ernst genommen werden wie andere Formen der Gewalt.

Wer eine nachhaltige Migrationspolitik will, muss auf Lösungen setzen, nicht auf Ängste. Migration ist nicht ausschließlich ein Problem, sondern Teil der Lösung für Deutschlands Zukunft. Es ist Zeit für eine neue, sachliche Debatte.

Schlussfolgerung: Mehr Differenzierung, weniger Populismus

Deutschland braucht Migration – für die Wirtschaft, den Sozialstaat und eine offene Gesellschaft. Doch solange Ängste geschürt und Fakten ignoriert werden, kommen wir nicht voran. Es braucht eine faktenbasierte, humane und realistische Migrationspolitik.

Wir stehen für eine Politik des Miteinanders – nicht der Spaltung. Für ein Deutschland, das weltoffen, gerecht und zukunftsfähig bleibt.

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