Vor der Wahl war es noch ein Fremdwort für die etablierten Parteien: Die Bürgerbeteiligung. Nachdem ZLR zu dem Thema im Wahlkampf und Stadtrat zahlreiche Akzente gesetzt hat, sprechen plötzlich auch andere Parteien davon, dass man Menschen in politische Prozesse einbeziehen muss.
Doch wie geht Bürgerbeteiligung überhaupt? Wie weit kann man Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse einer Kommune mit einbeziehen? Hier eine kurze Übersicht:
1. Definition
Bürgerbeteiligung: Gemeint sind Handlungen und Verhaltensweisen, die Bürger:innen und Bürger freiwillig und mit dem Ziel verfolgen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politisch-administrativen Systems zu beeinflussen. (Quelle: Nanz, Patrizia / Miriam Fritsche (2012): Handbuch Bürgerbeteiligung, Bonn).
2. Voraussetzungen
Wesentliche Voraussetzung für echte Bürgerbeteiligung ist der aufrichtige, von Einsicht getragene Wille, Bürger:innen in politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das erfordert einen politischen Kulturwandel in mehrfacher Hinsicht:
- Echtes Interesse an Bürger:innen, ihrer Meinung, ihren Sichtweisen und Bedürfnissen
- Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Sicht
- Interesse an Mehrperspektivität
- Eine aktive Kommunikationskultur
- Konfliktbereitschaft und Modelle im Umgang mit Konflikten und konfliktären Positionen
- Mehr Moderation, weniger: wir sind gewählt und bestimmen
3. Ziele
Die Ziele von Bürgerbeteiligung können sehr unterschiedlich sein:
- Bürger:innen informieren
- Bürgerwillen erkunden
- Bürgerwillen in Entscheidungen einbeziehen
- Engagement für die Stadt fördern
- Interesse und Beteiligung an Veränderungsprozessen in der Stadt ermöglichen
- Expertise einholen
- Gemeinsam mit der Bürgerschaft die Stadt entwickeln
Ziel von Bürgerbeteiligung ist nicht, Wünsche zu erfüllen oder Menschen glücklich zu machen; das ist ggf. ein erfreulicher Nebeneffekt.
4. Formen
Wir unterscheiden Grad und Intensität von Bürgerbeteiligung. Hier zeigt sich auch, wie viel Mitbestimmung gewollt und möglich ist:
Information
Erfüllt die vorgeschrieben gesetzlichen Vorgaben (z.B. Beteiligungsprozesse im Baurecht) ist aber Einbahnstraßenkommunikation. Wird von vielen Politikern als (einzige und hinreichende) Form der Bürgerbeteiligung gesehen.
Anhörung
Ebenfalls im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (z.B.: Bürgeranträge); Kommunikation weitestgehend auch nur in eine Richtung (kein Austausch, kein Dialog).
Dialog
Meinungsbild einholen, Bürgerbefragung, Diskussionsveranstaltungen; hier findet ein Austausch Bürger / Politiker statt. Offen ist jedoch, in welchem Umfang die Ideen der Menschen in die politischen Prozesse einbezogen werden.
Mitarbeit, Beratung
Meint den Einbezug der Bürger:innen in Projekte, Entwicklungsprozesse etc. Bereitet politische Entscheidungen vor. Bürger:innen sind in der Funktion von Berater:innen / Expert:innen.
Mitentscheidung
Die Politik lässt die Bürger:innen über bestimmte Inhalte und Ziele der Politik entscheiden. Politik muss den Willen der Bürger:innen umsetzen.
Hiervon abzugrenzen ist der sog. Bürgerentscheid, mit welchem Bürger:innen über einen eigenen Wirkungskreis selbst entscheiden können. Bei der Bürgerbeteiligung hingegen in Form der Mitentscheidung muss der Wille der Bürger:innen immer durch die politischen Gremien umgesetzt werden. Die Politik bindet sich demnach in einem bestimmten Ausmaß.
5. Prozesse
Wie die Prozesse für Bürgerbeteiligung gestaltet sind, hängt von den Themen ab, um die es geht. So existieren zahlreiche Methoden. Je nach Art und Umfang des Bürgerbeteiligungsprozesses sind diese zu unterscheiden. Bezweckt man mit Bürgerbeteiligung eine Konfliktbearbeitung in der Gemeinde (z.B. das Thema Heidchenwiese in Rösrath) so würde sich als Methode ein Runder Tisch oder ein öffentlicher Diskurs anbieten. Sollen Bürger:innen Planungsprozesse initiieren und gestaltend begleiten, kommen Bürgerforen oder Planungswerkstätten in Betracht. Sollen Visionen entwickelt und Zukunft gestalten werden (z.B. Rösrath 2030), so könnte eine Zukunftskonferenz oder Zukunftswerkstatt eine geeignete Methode für Bürgerbeteiligung sein.
Wegen der einzelnen Methodiken verweisen wir auf den Wegweiser Bürgergesellschaft (http://www.buergergesellschaft.de).
6. Praxisbeispiel
Die Gemeinde Weissach im Tal hat langjährige, vielfältige und grundsätzlich gute Erfahrung mit Bürgerbeteiligung gemacht. Dennoch musste man feststellen, dass sich im Laufe der Jahre immer die gleichen Bürger:innen beteiligten. Der Ansatz des Bürger:innenrates, zufällig ausgewählte Bürger:innen – also gerade die bisher nicht Aktiven – um die Erarbeitung von Lösungsansätzen zu bitten, schien also passend. Die Frage lautete: „Wie soll die Bürgerbeteiligung in der Gemeinde Weissach im Tal in Zukunft aussehen?“
Ein Bürger:innenrat ist ein zufällig ausgewähltes Gremium, das zeitlich befristet zusammenkommt und für eine Fragestellung, die z.B. der Gemeinde wichtig ist, ein gemeinsames Ergebnis erarbeitet. Dafür werden etwa 1,5 Tage eingeplant und es kommt die Moderationsmethode „Dynamic Facilitation“ zum Einsatz. Die Methode kommt dem oft sprunghaften, assoziativen Denken der meisten Menschen entgegen und befähigt die Gruppe, eine gemeinsame Sicht auf das Problem zu entwickeln. Der Bürger:innenrat setzt sich aus 12 bis 15 per Zufallsauswahl eingeladenen Personen zusammen und arbeitet nicht-öffentlich. Kurze Zeit später präsentiert er seine Ergebnisse im Rahmen eines Bürger:innencafes (Methode: World Café) der Öffentlichkeit. Dann können alle mitdiskutieren. Das Ergebnis aus beiden Veranstaltungen stellt die Empfehlung für den Gemeinderat dar.
(Quelle: Initiative Allianz für Beteiligung e.V., Methoden und Praxisbeispiele für Bürgerbeteiligung in kleinen Städten und Gemeinden)
Weiterführende Informationen
So stellen wir uns Bürgerbeteiligung vor
Unser Programm für die Kommunalwahlen 2020