Mit diesem Beitrag beginnen wir eine Reihe von Artikeln, die sich mit einzelnen Aspekten unseres Impulspapiers „Öffentlicher Raum und Mobilität“ (PDF) befassen. Es war und ist uns bewusst, dass dieses 75seitige Dokument nur von Menschen mit sehr hohem Interesse an diesem Thema in Gänze gelesen werden wird. In dieser Serie möchten wir daher einige zentrale Gesichtspunkte in kürzerer Form präsentieren.
Warum ein historischer Abriss der Automobilität?
Auf einer der ersten Seiten des Impulspapiers steht eine sehr wichtige Randnotiz: „Das Auto soll nicht abgeschafft werden“. Es ist also keineswegs die Absicht von ZLR, die vorhandenen Vorteile der Automobilität zu ignorieren oder in Frage zu stellen. Allerdings möchten wir durchaus den Blick auf die Begleiterscheinungen der autozentrierten Mobilitätspolitik der Vergangenheit und Gegenwart lenken.
Die Förderung des Autoverkehrs ist ein beabsichtigtes politisches Ziel in Deutschland seit nahezu 90 Jahren: Es gibt eine Kontinuität von der Reichsstraßenverordnung (1934) bis zur heutigen Straßenverkehrsordnung (StVO). Letztere verankert den Vorrang des sogenannten „fließenden Verkehrs” – was gleichbedeutend mit dem motorisierten Verkehr ist –, der nur aus Gründen von Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden darf (§45, Abs. 9). Andere Einschränkungen, um Ziele des Klimaschutzes, der Aufenthaltsqualität oder der Gesundheit zu erreichen, sind aktuell noch nicht (geschweige denn gleichrangig) möglich.
Unsichtbare Spuren in unseren Köpfen
Ein knappes Jahrhundert automobilzentrierter Politik haben ihre Spuren hinterlassen: Nicht nur sichtbar in unseren Dörfern, Städten und Landschaften, sondern vor allem auch unsichtbar in den Köpfen der Menschen.
- Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Verkehr auf Hauptstraßen mit seinen Lärm- und Feinstaubemissionen das Ortsbild dominiert.
- Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Flächen im öffentlichem Raum, die wir dem stehenden Verkehr in Form von Parkplätzen widmen, die Flächen für Begegnung und Erholung in den Ortskernen um ein Vielfaches übersteigen.
- Wir haben uns daran gewöhnt, schon unsere kleinsten Mitbürger:innen darauf aufmerksam zu machen, dass sie als die Schwächsten im Verkehr Rücksicht auf die möglichen Fehler der Starken nehmen müssen („pass auf, da kommt ein Auto!“).
- Wir hinterfragen kaum noch, warum viele Eltern ihre Kinder lieber mit dem Auto zur Kita oder Schule bringen, weil der Weg zu Fuß oder Fahrrad von vielen als zu gefährlich wahrgenommen wird.
Das alles bezeichnen wir als „Seh- und Denkgewohnheiten“, und genau an diesem Punkt beginnt Veränderung.
Uns selbst ging und geht es genauso
Bei alledem wäre es vermessen, hier mit dem Finger auf andere zu zeigen. Zur Ehrlichkeit gehört es dazu, auch vor der eigenen Türe zu kehren und das eigene Verhalten zu hinterfragen bzw. möglichst zu ändern.
Der Wendepunkt der persönlichen Sichtweise
Es gibt ein Phänomen, das viele im Themenfeld der Mobilitätswende kennen dürften. Wenn man erst einmal beginnt, die negativen Begleiterscheinungen unserer heutigen Mobilität wahrzunehmen, dann fällt es einem plötzlich überall auf: Der Lärm an den Hauptstraßen, die Abgasemissionen, die einseitige Zuweisung von öffentlichem Raum für den fahrenden und stehenden Verkehr, die engen und abrupt endenden Wege für Radfahrende und die oft eingeschränkten Wege für Fußgänger.
Gelangt man erst einmal an diesen Punkt, so stellen sich viele Fragen. Zum Beispiel:
- Wie sind die Vorteile der Automobilität gegenüber ihren Nachteilen zu bewerten?
- Ist unsere heutige Gewichtung der Mobilitätsformen fair oder einseitig hinsichtlich der Raumverteilung?
- Gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die von den Nachteilen besonders betroffen sind?
- Wie könnte ein neues, ausgewogeneres Zielbild aussehen?
- Und wie passt das alles eigentlich zu den Zielen des Klimaschutzes?
Diese Fragen sind unbequem, aber notwendig
Wir sind überzeugt davon, dass eine Reflexion dieser Fragen und eine gründliche Analyse der aktuellen Situation in Rösrath hilfreich sind, bevor man sich an Ideen und Vorschläge für Einzelmaßnahmen macht. Eine echte Mobilitätswende und die Neuverteilung des öffentlichen Raums kann nur dann gelingen, wenn eine Mehrheit im Rat und in der Bevölkerung diese Ziele unterstützt. Dafür bedarf es mindestens dreierlei Dinge: ein Gesamtkonzept, eine positive Vision und – nicht zuletzt – eine glaubwürdige Kommunikation.